Samstag, 20. Dezember 2014

Es war einmal ein Mädchen...

…das träumte von der Welt. Von den Palmen am Strand und den Flüssen im Wald. Von den Walen im Meer und den Vögeln an Land.
Und sie träumte vom Reisen, vom entlosen Treiben durch die Kontinente, vom Entdecken und Erleben. Von einem Abenteuer. 
Und da entstand ein Traum. Und er war zunächst nur klein, ein unbedeutsamer Spross unter der Schneedecke. Aber er wuchs und wuchs.
Und viele Papiere, Unterschriften, Gespräche, Koffer vollstopfungen und Abschiede später, war der Morgen gekommen.
Der 17. Juli 2014
Rot angestrichen im Kalender.
Die automatische Erinnerung meines Handys erinnert mich daran, für den Fall, dass ich vergessen haben sollte, dass ich heute in die USA fliege.
Ein etwas gequältes lächeln
Es klingt selbst jetzt, 157 Tage später, noch unrealistisch.
Denn alles begann wie ein normaler Morgen. Aufstehen, Zähne putzen, allen guten Morgen sagen, Leberwurst und Käse Brötchen geschmiert.
Alles war so normal, und doch so anders. Ein leerer Kleiderschrank. Ein leeres Bett. Ein leeres Zimmer. Tür zu. Koffer ins Auto. Ein letzter Blick aufs Haus. Und weg.
Ich weiß noch genau, wie ich in der Sicherheitskontrolle stand im Hamburger Flughafen, aufgeregt wie ein Pudel, als ich auf diese große Elternmenge schaute, die alle gute Miene spielten und sich hinter ihren winkenden Taschentüchern dann wohl doch die ein oder andere Träne wegwischen mussten. Mittendrin meine Mama und meine Freunde.
Ein letzter Blick, ein letztes Lächeln, ein Daumen hoch.
Das Flugzeug, indem Träume war werden
Die letzte Erinnerung. Ich muss diesen Blick einsaugen und für ein Jahr festhalten.
Noch zwei Stunden bis nach London und dann nur noch drei Stunden bis zum weiter Flug nach Phoenix. Mental war ich irgendwie abwesend.
Dann war es soweit. Und ich drehe mich um. Schaue nach vorne. Und ich weiß noch genau, was mir in dem Moment durch den Kopf gegangen ist.
Das ist es. Mein Traum. Von jetzt an bin ich alleine. Dieses Jahr ist mein Abenteuer. 
Alles lief ab wie ein Traum. Ich musste mich immer wieder wach schütteln, und mich dreifach überzeugen, dass ich wirklich Amerika auf dem Flugzeugbildschirm sehe.
Doch viel Zeit für philosophische Gedanken hatte ich dann doch nicht, bis das Flugzeug über der Skyline von Phoenix landete.
Auf der Fahrt zu meiner Gastfamilie habe ich nicht nur realisiert, wie sehr ich doch noch an meinem Englisch arbeiten muss, sondern war auch äußerst amüsiert von dem Gedanken, dass ich die Straßenschilder am Freeway wieder erkenne, weil ich die Strecke schon so oft mit Google Street View durchgefahren bin.
Schließlich fuhr das Auto auf die Auffahrt meiner Gastfamilie. Die Tür öffnete sich. Die Menschen, die sechs Monate später für mich wie eine echte zweite Familie sind.
Und eine Millisekunde später sind 157 Tage herum. 
Ein Wort, um diese 157 Tage zu beschreiben? 
Entwicklung. 
Alles hat sich entwickelt. 
Freundschaften, Vertrauen und Liebe. 
Zu Menschen hier in Amerika.
Las Vegas baby
Und zu Menschen in Deutschland.
Aber am meisten entwickelt hat sich meine Wenigkeit.
Ich habe als neugieriges, aber unwissendes "kleines" Mädchen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt. Wie ein kleines Rehkitz, das mit geschlossenen Augen auf eine Klippe zurennt. 
Aber ich bin nicht gefallen. 
In diesen 157 Tagen habe ich gelernt, über die Klippe zu springen. Und über die nächste. Und die nächste. 
Und ich bin bereit für 157 weitere Klippen.
Ich habe viel gelernt, über Menschen, die Natur und
das Leben.
Ich weiß nun, dass du immer ein Handyladekabel dabei haben sollte. Und ein Handy natürlich. Und eine Wasserflasche. Und dass Turnschuhe nicht immer so passend sind, wenn es draußen 46 Grad sind, und das Chucks nicht viel besser sind.
Und du solltest immer genug Bargeld dabei haben, denn deine Bankkarte könnte ja mal nicht funktionieren und vielen Menschen viel Arbeit machen, dir durch 9 Zeitzonen weiter zu helfen. (schuldige Mama und Papa <3)
Aber vorallem habe ich herausgefunden, wie man alleine ist. 
Das klingt vielleicht komisch für euch, weil ihr euch vielleicht denkt, alleine sein ist doch nicht so schwer, ihr sitzt ja jetzt auch alleine vorm Laptop in eurem Zimmer, pfft, kann doch jeder, was ist dabei.
Das dachte ich auch, aber es ist weitaus mehr. 
Denn ich meine so richtig alleine sein. Ohne Sicherheitsnetz, ohne Freunde. Ich bin meine eigene beste Freundin geworden. Und das ist nicht traurig. Das ist wichtig. 
Ein atemberaubender Moment

Denn wenn ich jetzt zurückschaue, hatte ich vorher keinerlei Beziehung zu mir selbst. Immer fokussiert auf andere, immer am Kommunizieren mit jemandem, immer irgendwie in Kontakt, unterwegs, am texten, Facebook, Instagram, was weiß ich noch alles. Immer für andere da. Hier habe ich gelernt, für mich selbst da zu sein. 
Wer bin ich eigentlich ohne meine Freunde und Familie? Ich, allein, als Person? 
Die langen Strandspaziergänge in Kalifornien und vor allem die Abende allein Zuhause haben sich besonders hier bezahlt gemacht. Ich habe viel nachgedacht. Ich habe mich überwunden. Mich meinen "Ängsten" gestellt. Damit meine ich nicht das große Bild, dass ich ohne Mama und Papa nicht in die USA gekommen wäre, ich meine die kleinen Dinge.
Innere Stärke ist größer als du selbst
Ich meine, nicht immer laut raus zu sagen was man denkt.
Ich meine, auch mal Zähne zusammenbeißen.
Ich meine, fremde Leute anrufen. 
Ich meine, alleine neue Dinge beginnen ohne deine beste Freundin an deiner Seite.
Ich meine, ein Gespräch mit dem netten Mädchen in der Schule zu beginnen, was mich immer so lieb anlächelt. 
Wir sind heute gute Freunde. 
Ich meine die Dinge, zu denen man in Deutschland wohl nie durchgedrungen wäre, wenn man es nicht gemusst hätte. Und die Dinge, die wahrscheinlich keiner versteht, der nicht selber an einem Punkt in seinem Leben da mal durch gemusst hat.
Und ich hab Zeit mit mir selbst verbracht. Ich saß oft auf der Terrasse, mitten auf dem Feld im Gras, in der Liege am Pool, abseits vom Trubel und beobachte die Welt.
Nur irgendwo sitzen, vielleicht mit einem Frost Eis oder einer Cola, und über das Universum nachdenken, oder
die Familie die ein bisschen weiter weg spaziert, und mich darüber wundern, wie viele Familien wohl heute ein Kind bekommen haben. 

Und wie viele Familien eins verloren haben. Oder was wohl gerade in New York passiert. 
Oder in Ghana. 
Und wie viele Leben heute dahingeschieden sind. Und wie viele davon zurück auf die Erde gekommen sind. 
Und was Liebe ist.
Und was ich alles noch machen möchte bevor ich sterbe.
Und was andere Menschen alles nicht machen können, bevor sie sterben. 
Und ob es einen Gott da oben gibt. 
Und ob Vampire und Meerjungfrauen vielleicht doch existieren. 
Und was passieren würde, wenn man herausfände, dass sie existieren.
Das konnte ich vorher nicht, und ich finde es wichtig, dass man so etwas kann, denn wie viele Freunde du auch hast, am Ende des Tages bist es immer nur du. 
Und egal, wo du bist und was dir passiert. Solange du dich selbst dabei hast, wirst du nie einsam sein.
Und das ist es, was jeder immer meint mit diesem ganzen Selbstfindungsgedöns was ich vorher nie verstehen konnte. Ich war immer der Überzeugung, man kann doch nicht vergessen, wer man ist, es sei denn man hat Alzheimer oder Parkinson. Ich bin Annabelle, und ich mag Hunde, scharfes Essen, reisen und hasse das meiste Gemüse, ich weiß, wer ich bin, wie kann ich mich noch mehr finden?! Und wie kann man sich überhaupt finden, such' ich unter Steinen und hinter Bäumen oder was?
Abgesehen davon, dass ich der Meinung bin, dass man sich nicht endgültig finden kann, weil man sich ständig verändert, Veränderung ist Leben. 
Aber es geht nicht darum. 
Du könntest deine beste Freundin oder Freund in fünf Sekunden bis auf deren kleinstes Detail beschreiben. Du weißt ihre Meinung zu Religion oder Abtreibung oder den Sinn von mathematischen Ableitung und deren Gebrauch im täglichen Leben. Du kennst ihre Talente sowohl als auch ihre Schwächen. Aber weißt du all diese Dinge über dich selbst? Kannst du dich nur mit deinen Gedanken beschäftigen?
Und das ist nur meine Auffassung von dem ganzen. Vielleicht stimmst du nicht zu, siehst es anders oder findest, dass ich aus "ner Maus" nen Elefanten mache. Aber dann war für mich das, was du als Maus siehst, der Elefant von vornherein.
Amerika hat einen Platz in meinem Herzen gewonnen. 
Und all diese Erinnerungen kann mir niemand nehmen. Das sind meine eigenen 'weißt du noch' Momente, die niemand anders verstehen würde und die ich nur mit mir selbst teile. 
Und wenn ich nächstes Jahr wieder in Deutschland bin, und mich Leute fragen, ob ich denn Freundschaft geschlossen habe, dann sage ich ja, mit mir selbst, und sie wird ein Leben lang halten.
Und wenn sie fragen, ob es denn schwierig war, dann sage ich ja. Und meine damit nicht das große Bild. Sondern all die kleinen Dinge, an die niemand denkt. Aber die mich täglich stärker gemacht haben. 
Und allein deshalb ist es das alles sowas von wert.

♥ Amen 

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